(Vom Internet Hamburg)
Ich höre Ihnen zu. Jetzt gleich. Oder ein anderes Mal. Das Ohr.“
Deine Geschichte oder auch nur ein einziges Wort.
23.11.2021 / 18:15 Unkorrigiert übernommen von Cover vom Buch, diversen Internetseiten etc.
'Christoph Busch hat einen Nerv getroffen mit seinem Ohr der Einkehr an einem Ort der Hatz.'
Der Tagesspiegel einer Hamburger U-Bahn-Station steht seit Januar 2018 ein besonderer Kiosk. Hier kann man nichts kaufen. Stattdessen gibt es hier etwas viel Kostbareres: Christoph Busch schenkt den Menschen Zeit und hört ihnen zu.
Die kleine Frau im roten Mantel, die in unvorstellbarer Armut aufgewachsen ist, der Mann, der sich darüber freut, bald Großvater zu werden, oder der alte Herr, der die Liebe seines Lebens nicht mehr pflegen kann - sie alle öffnen ihr Herz oder reden sich bei ihm ihr Leid von der Seele. Christoph Busch erzählt die Geschichten, die ihn besonders bewegt haben. Geschichten, die den Blick auf unsere Gesellschaft schärfen.
Das Ohr, das ist er, Christoph Busch. Die meisten Menschen vermuten, er sei von der Caritas, von der Berufsberatung, vielleicht auch ein Therapeut oder – moderner formuliert – ein Coach. „Nee, ich will einfach nur zuhören“, klärt er dann immer auf. Schaut einen dabei ruhig und freundlich an. Der Mann mit der vergoldeten Nickelbrille und den aufmerksamen Augen schenkt Menschen vor allem eines: Zeit. Eine Stunde, zwei Stunden, mal länger, mal kürzer.
Montags bis freitags sitzt der Geschichtensammler Busch zwischen den Gleisen. Wenn sich ein Mensch traut, den Kiosk zu betreten, geschieht Magie oder, weniger pathetisch formuliert, Begegnung. Es sitzen sich zwei Fremde gegenüber. „Diese Anonymität verleitet die Menschen dazu, etwas von sich preiszugeben“, erklärt Busch. „Das kennen wir zum Beispiel aus dem Taxi. Oder aus dem Beichtstuhl. Beides sind Orte, an denen man sich ziemlich garantiert nicht wiedersieht. Nur dass ich mir hier mehr Zeit nehme. Dadurch entsteht eine vollkommen andere Situation der Ruhe und Konzentration.“
13.09.2022 / 16:34 Unkorrigiert übernommen aus https://www.kirche-im-hr.de/sendungen/02-ganz-ohr-sein-so-geht-zuhoeren
Der Kiosk gehört Christoph Busch.
Er ist 73 Jahre alt und von Beruf eigentlich Drehbuchautor. Vor fast zwei Jahren hat er den Kiosk gemietet.
Als eine Art Schreibstube, in der er Geschichten sammeln wollte. Für seine Drehbücher.
Doch es kam anders. Schon während der Renovierungsarbeiten rannten ihm die Leute die Bude ein. Viele wollen ihm etwas erzählen. Ihre Geschichten oder wie es ihnen gerade geht.
Oft sind es Menschen, die mitten im Leben stehen. Oder zumindest so aussehen. Von denen Christoph Busch denkt: „Mensch, du hast Familie, du hast Freunde, denen kannst du doch alles erzählen. Warum kommst du zu mir in den Zuhör-Kiosk?“
Dinge erzählen und loswerden
Doch sie kommen zu ihm. Junge Leute vor dem Abitur, die sich fragen: „Wie geht es weiter? Will ich das tun, was die Eltern wollen?
Oder was ganz Anderes?“ Alte, die ihre Lebensgeschichte erzählen.
Spannend, bewegend, mitunter dramatisch oder traurig, aber - so sagt Busch - „mit beeindruckender Ruhe und Freundlichkeit“. Menschen kommen mit Dingen, die sie sonst nicht loswerden können. Oder wollen.
Christoph Busch hört zu. Ehrenamtlich. Kostenlos. Vertraulich. Von Montag bis Freitag. Und nach Verabredung. Er hat einen Nerv getroffen und bekommt immer wieder gesagt: „Das ist toll. Sie hören zu. Das macht ja heute keiner mehr.“
Ich frage mich: Ist das so? Höre ich, hören wir wirklich nicht mehr richtig zu? Ist das denn so schwer?
Zuhören ist nicht schwer - sagt Martin Luther
Ist Zuhören schwer? Wenn es nach Martin Luther geht, nicht. Er soll gesagt haben: „Der Mensch hat zwei Ohren und nur einen Mund. Deshalb sollten wir doppelt so viel zuhören wie sprechen.“ Ich versteh das so: Wir haben alles, was wir brauchen. Das sind doch schon mal gute Voraussetzungen.
Viele Erwachsene würden Luther wahrscheinlich zustimmen. Denn laut Umfragen halten sich sechsundneunzig Prozent von ihnen für gute Zuhörer.Und trotzdem haben viele das Gefühl, dass ihnen niemand Gehör schenkt. Das passt doch irgendwie nicht zusammen.
Nur "mit halben Ohr" zuhören
Aber wenn ich ehrlich bin: Ich kenne das auch. Mein Gegenüber hat zwar zwei Ohren, passt aber trotzdem nicht auf, wenn ich was erzähle. Oder ich ertappe mich selber, dass meine Gedanken beim Zuhören abschweifen. Dass ich nur „mit halbem Ohr“ dabei bin.
Und das liegt nicht daran, dass ich Tomaten auf den Ohren habe. Ich lasse mich ablenken. Ich höre nicht richtig hin, weil ich noch etwas nebenher mache. Ich daddel auf dem Smartphone rum, tippe schnell noch meine E-Mail fertig oder unterbreche ein Gespräch, weil gerade das Telefon klingelt. Das ist nicht schön. Aber es kommt vor.
Hören ist angeboren - Zuhören müssen wir lernen
Dazu kommt noch, dass Hören und Zuhören nicht das Gleiche ist. Hören ist uns angeboren. Aber erst im Lauf der Zeit geben wir dem, was wir hören, eine Bedeutung. Einen Sinn.
Wir erwerben die Fähigkeit, auch Zwischentöne wahrzunehmen. Und zu deuten. Zuhören ist anspruchsvoll. Es braucht Vertrauen, wenn uns jemand „ein Ohr leihen“ oder „Gehör schenken“ soll.
Menschen reden gerne - dann hören sie aber nicht zu
Außerdem reden wir selber für unser Leben gern. Wissenschaftler haben herausgefunden: Reden macht glücklich. Im Gehirn werden beim Reden die gleichen Bereiche aktiviert wie zum Beispiel beim Essen. Oder beim Sex. Es gibt also kaum etwas Schöneres, als sich über den letzten Urlaub, den neuen Kollegen oder die eigenen Kinder auszulassen. Wenn aber alle reden wollen, hört keiner mehr zu. Eine echte Zwickmühle, die so alt ist wie die Menschheit.
Schon in der Bibel finden sich deshalb Tipps, wie man mit diesem Dilemma umgehen kann. Da steht zum Beispiel: „Jeder Mensch soll schnell bereit sein zuzuhören. Aber er soll sich Zeit lassen, bevor er selbst etwas sagt.“ (Jakobus 1,9)
Richtig zuhören braucht Zeit
Zuhören geht nicht nebenbei. Es braucht Zeit. Und: Es erfordert aktives Handeln. Es bedeutet, das Smartphone weglegen. Sich dem anderen zuwenden. Ohne auf die E-Mail zu schielen. Für ein paar Minuten „ganz Ohr“ sein.
Meine Erfahrung ist: Wenn mir jemand so zuhört, dann tut mir das gut. Meine beste Freundin kann das. Wenn ich ihr etwas erzähle, fühle ich mich wahrgenommen. Sie schaut mich an. Sie hört zu, ohne gleich zu sagen: Ja, ja, ich weiß, was du meinst. Sie ist auf meiner Seite. Bewertet nicht, was ich sage. Und dann kommt manchmal was in Bewegung. In mir. Das Problem ist plötzlich gar nicht mehr so groß. Oder ich komme auf gute Gedanken, mit denen ich weitermachen kann. Ihre ungeteilte Aufmerksamkeit hat mir geholfen.
Zuhören hilft aber nicht nur dem, der erzählt. Man hat immer was davon, wenn man den Geschichten anderer Leute zuhört. Man lernt etwas über sie, aber auch über sich. Zuhören lohnt sich. Für alle.
Manchmal braucht es ein fremdes Ohr
Was aber ist, wenn ich niemanden habe, der mir zuhört? Oder wenn ich Angst habe, mich mit meiner Geschichte jemandem anzuvertrauen? Wenn das, was ich erzählen möchte, nicht mal für die Ohren meiner besten Freundin bestimmt ist. Was dann?
Es gibt Geschichten, die erzählt man nicht gern. Jedenfalls nicht Menschen, die man kennt. Vielleicht weil man sich schämt. Oder weil man Angst hat vor dem, was der andere denkt.
Der fremde Freund im Erzähl-Kiosk
Auch solche Geschichten bekommt Christoph Busch in seinem Hamburger Erzähl-Kiosk zu hören. Oft sogar. Wenn man ihn fragt, warum die Menschen damit gerade zu ihm kommen, dann lacht er und sagt: „Weil mich muss man nicht wiedersehen.“
Und er fährt fort: „Sie müssen sich vorstellen: Da kommt jemand Fremdes. Wir kennen uns nicht. Aber ich reagiere auf das, was ich höre, wie ein Freund. Wie ein ‚fremder Freund‘. Ich schlüpfe in keine Rolle, ich bin kein Therapeut, ich bin einfach ich.“
Wie ein „fremder Freund“. Das gefällt mir. Ich glaube, hin und wieder braucht man das nämlich. Einen „fremden Freund oder eine fremde Freundin.“
Glücklicherweise muss man dafür nicht bis nach Hamburg fahren.